Die Frage ist, ob man derartige Zuggewichte erreichen konnte, musste und wollte.
Zum Können: Die Ernährungssituation im Mittelalter war nicht optimal, so dass ein überproportionaler Muskelaufbau nicht zu erzielen war. Bleibt also die normale menschliche Leistungsfähigkeit + Technik + Training. Danach erscheinen 40 - 70 lbs für einen Steppenkrieger doch gut machbar. Ein kräftiger Kerl, der heutzutage noch nie nen Bogen in der Hand hatte bekommt 50 lbs nach einer Kurzeinweisung ja auch gespannt.
Zum Müssen: Wieviel Power war wirklich nötig? Zum Jagen braucht man effektiv nur 50 lbs mit "broadheads" als Spitzen. Das entnehme ich zumindest den Artikeln in der TBB.
Zum Heimsuchen von Landbevölkerung war auch nicht mehr nötig - 50pfünder mit klingenbewehrten Pfeilspitzen waren auf ca. 10-25 m relativ tödlich, zur zur Not konnte man auch mit dem Säbel finishen, wenn die Opfer nicht geflohen waren. Ein kompetent vom Pferd aus geführter Säbel ist wegen Schnittwirkung und Geschwindigkeit des Reiters eine ganz üble Waffe. Nicht ohne Grund waren die Dinger Kavalleriebewaffnung über 8 Jahrhunderte
Bleiben die Ritter, Soldaten, Militärs der Zeit. Gegen hochwertige Panzerungen kommt kein Bogen an. Dies ergibt sich z.B. aus plausiblen Tests von schweren Langbögen (130 und mehr lbs) gegen Plattenpanzer, wobei beide Waffen denen des 100jährigen Krieges (1337 - 1453) entsprechen. (Quelle z.B. hier:
http://www.youtube.com/watch?v=m746lj90izs)
Dieses ergibt sich auch aus viel früheren (1100-1200) Berichten von moslemischen Chronisten, über christliche Kreuzritter (die überwiegend mit Kettenpanzern und diversen Stoff- und Lederschichten gepanzert waren), nach denen sich diese teilweise mit 20 oder mehr Pfeilen in der Rüstung unverletzt bewegten und immer noch auch die leicht gepanzerten Infanteristen der Moslems einprügelten.
Selbst wenn die Energie des Pfeils zum Durchschlagen der Panzerung ausreichte, waren da sehr oft noch andere Dinge im Wege, seien es der Schild, die Lanze oder das Pferd, so dass der Reiter an sich sehr gut geschützt war.
Aber für die Reitervölker war das Erschiessen des gepanzerten Reiters auch gar nicht nötig. Denn es reichten einige Treffer im Pferd und der Reiter stieg abrupt und unfreiwillig ab und brach sich gelegentlich die Knochen. Und einen so vorgeschädigten Gegner konnte man ebenfalls mit dem Säbel erledigen oder einfach niederreiten. Selbst wenn er unverletzt war und eine Handwaffe hatte - er war so langsam, dass er keine Gefahr mehr darstellte.
Letzlich genügten also "Standardbögen" für die meisten Zwecke der o. g. Reitervölker. Allerdings hatten deren Soldaten oftmals viele (bis zu 40) sehr verschiedene Pfeile mit sehr unterschiedlichen Spitzen bei sich um differenziert reagieren zu können.
Zum Wollen sollte man bedenken, dass ein Bogen von bemerkenswert höherer Stärke schwerer zu bauen ist, als ein leichter Bogen. Bei der Menge an Bögen, die Hunnen und Mongolen brauchten, kann ich mir gut vorstellen, dass sich die Bogenbauer für die "Massenproduktion" nicht am Limit, sondern in bekannten und beherrschbaren Bereichen des Zuggewichts bewegten.
Ausserdem ist ein leichter - angemessener Bogen - schneller, genauer und auch öfter zu Schiessen, als ein "Kraftmonster", dass einen schnell müde macht.
PS: Ich weiss, dass es bei Galileo und ähnlichen Magazinen Tests vom ELB gegen Kettenpanzer gab. Der Kettenpanzer hat dabei sehr alt ausgesehen. Aber man sollte einge Dinge bedenken: Der ELB hat seine Berühmtheit durch den Einsatz gegen Reiter in Plattenpanzern erlangt. Das Kettenhemd war nie als Schutz gegen den ELB gedacht.
Galileo hatte kein mehrlagiges Kettenhemd mit verschweissten oder vernieteten Gliedern, wie es zumindest im Hochmittelalter üblich war, sondern einen Nachbau, bei dem die Ringe nur zusammengebogen waren. In der Sendung ging es publikumswirksam auch um Effekte...
Hier ein unwissenschaftlicher Test eines LB mit Bodkinpfeilen gegen ein einlagiges vernietetes Kettenhemd, der Bogen hat zwar nur 50 lb, aber der Typ hält aus 5 m Entfernung drauf...
http://www.cotasdemalla.com/test2.htm
Ich will den Bogenschützen - sowohl ELB als auch Reiterbogen - nicht ihre Effektivität absprechen, dazu waren sie einfach zu gut. Ich denke aber, dass sie oftmals zu Maßnahmen griffen - z.B. Pferde erschiessen - die den überliefernden damaligen Chronisten als undenkbar erschienen. Immerhin stellte ein Pferd als Beute einen hohen wert dar und es galt auch lange als unritterlich oder einfach unfair, den Gaul zu treffen.
Und einem Ritter der Zeit wäre es sicher auch schwer gefallen, "öffentlich" zuzugeben, dass er sich schon vor dem Feindkontakt beim Sturz vom Pferd den Arm gebrochen hat...
Es ist mir egal ob schon mal jemand sowas gebaut hat.
Ich will ja nicht unken, aber in der überwiegenden Zahl der Fälle geht das schief.