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von Ralph » 16.04.2018, 07:54
Man muß – m. E. – jede Bogenform nicht vom Ergebnis her, sondern von der Historie und dem Zweck her betrachten:
Mandschurische Bogen sind in der Form, wie man sie heute als solche der Qing-Dynastie kennt, ursprünglich Waffen für die Jagd auf Großwild gewesen.
Es galt dabei, sehr widerstandfähige Decken auf Entfernungen durchdringen zu können, die für den Jäger hinsichtlich des Treffens per se, wie auch für den Fall von Fehlschüssen sicher waren. Daher waren zu kurze Entfernungen ebensowenig sinnvoll, wie zu große.
Dieses Ziel konnte man in der Zeit der Entwicklung der Bogen (15./16.Jh.) in der betreffenden Region (Mandschurai) nur durch sehr schwere Projektile erreichen, die mit großer Wucht auf das Objekt auftreffen sollten.
Die Lösung war die bekannte Konstruktion mit in der Regel starkem Reflex, langen Wurfarmen und langen Wurfarmenden.
Durch die Länge der Wurfarme, Reflex und die langen Siyahs speichern die Bogen sehr viel Energie, da die Hebelverhältnisse extrem ausgereizt werden. Die dynamische Effizienz solcher Bogen liegt dadurch oft bei 80 % und höher; das wird bei kürzeren Bogen mit kürzeren Wurfaramenden und geringerem Reflex nicht erreicht. Dadurch können schwere Pfeile verschossen werden, welche die erwähnten dicken Felldecken wirksam durchdringen konnten.
Durch die Hebelverhältnisse und die dadurch bedingte, erhebliche Auszugslänge musste man jedoch auch sehr lange Pfeile verwenden („Goldene Regel der Mechanik“).
Die Verwendung von leichten, langen Pfeilen schied aufgrund der Zielgruppe (Großwild) sowie des Umstandes aus, dass bei Verwendung von leichten Pfeilen die in den Bogen verbliebene Restenergie jene auf Dauer zerstört hätte. Daher auch die in der Regel sehr schweren Pfeile.
Durch die Länge der Bogen und die Masse der Pfeile sowie die lange Befiederung ist das System stark fehlerverzeiend, sodass sich Schießfehler nicht derart gravierend auswirken, wie bei kurzen Bogen. Auch sind die Bogen aufgrund ihrer Bauform recht robust.
Nachteil ist neben der aufgrund der Pfeilmasse limitierten Schußweite, dass durch das Gewicht der Pfeile auch die Geschwindigkeit der Projektile, verglichen etwa mit der türkischer Bogen, auch relativ niedrig ist. Auch kommt es durch die Bauweise (Sehnenbrücken sowie lange, teilweise massige Siyahs) zu Schwingungen im Bogen, die das Schießen gewöhnungsbedürftig machen (Stichwort „Handschock“). Das spielte jedoch im historischen Kontext nicht die Rolle, wie in den heutigen, dahingehenden Diskussionen. Das System erfüllte seinen o. g. Zweck hervorragend.
Daher wurde es später auch zur Verwendung im Krieg eingesetzt und weiter perfektioniert, insbesondere, was die Effizienz resp. Durchschlagskraft betraf, als u. a. mit Aufkommen von Feuerwaffen auch die damit einhergehende, neuere Panzerung von Gegnern immer schwerer zu durchdringen wurde. Nachteile, wie die geringere Reichweite nahm man in Kauf. Zeit der Qingdynastie verdrängte die Bogenfom im damaligen Herrschaftsbereich die bis dato dort Gebräuchlichen fast vollständig.
Die Cinnabarbogen mandschurischer Art sind von der Art bzw. Maßen her recht nahe an den Originalen. Was fehlt, ist der starke Reflex. Grund dafür ist, dass sich dieser mit den derzeit zur Verfügung stehenden Kunstmaterialien nicht realisieren läßt. Daher erscheint der Reflex auch derart schwach und die Effizienz der Bogen sinkt (was jedoch für den heutigen Verwender kaum bemerkbar ist bzw. nur dann zu registrieren wäre, wenn im Vergleich dazu ein Naturmaterialbogen (Hornbogen) mit größerem Reflex geschossen werden würde).
Bogen wie dem Kublai fehlt aufgrund derer – auch etwas filigraneren - Bauweise die besagte Effizienz der mandschurischen Bogen. Der Auszug ist etwas kürzer. Auch sind sie bzgl. des Schießens etwas fehleranfälliger. Dafür ist das Schießen aufgrund derer Konstruktion weniger schwingungsbehaftet (Sehnenbrücken fehlen z. B.) und dadurch für den Schützen etwas angenehmer. Man muß auch beachten, dass es sich hierbei um einen anders konstruierten Bogen aus einer Zeit lange vor den Mandschuhbogen handelt. Die Typen sind also auch von der Herkunft her nicht unbedingt miteinander vergleichbar.
Was die Frage der Verbreitung chinesischer Bogen / chinesischen Schießens angeht:
In den letzten Jahren ist die Situation hinsichtlich der Erlangbarkeit von guten Bogen chinesischer Bauart – egal aus welcher Dynastie stammend – sowie dahingehenden Infrmationen über deren Gebrauch besser geworden. Die Anbieter liefern gute bis sehr gute Qualität (Cinnabarbow, Alibow); es gibt aber auch, wie überall, mäßige (AF-Bow) bis Schlechte.
Zuvor war dieses Gebiet, etwa im Vergleich zu türkischen oder koreanischen Bogen, recht unbekannt bzw. aufgrund nur dürftigen, vorurteilsbehafteten Informationslagen wenig frequentiert.
Insbesondere hielt und hält sich die Ansicht „Chinesische Bogen = mandschurische Bogen = hohes Zuggewicht = Handschock = lange Pfeile = langsam und kurz = schwer zu Schießen = Mist“, welche oft aus Unwissenheit, dummen Gequatsche insbesondere ihres Zeichens „fähiger und erfahrener Schützen“ und aus dem Mangel an ernsthafter Beschäftigung mit der Materie resultierte.
Diese Vorurteile geraten leider nur langsam in Wegfall.
Dabei würde im Zuge näherer Beschäftigung mit der Materie ersichtlich, dass „chinesischen Bogenschießen“ mehr als nur „Mandschuh“ heißt, dem Interessenten über dessen gesamte Geschichte eine Palette verschiedener Formen bietet, die man bzgl. anderer Kulturkreise und derer hervorgebrachter Formen suchen muß.
M. E. ist die Beschäftigung mit dem Gebiet – ganz gleich, ob man nun auf das Schießen in mandschurischer, mingdynastischer, yuandynastischer etc. Zeit orientiert – ein spannendes, weites Feld und mit etwas gutem Willen und Training und auch Anstrengung zu meistern.
Dass man, hinsichtlich der Mandschubogen, langsamer ist, als z. B. mit türkischen oder koreanischen Bogen bzw. weniger weit schießen kann, wirkt sich im heutigen Turnierbetrieb kaum aus und ist auch ein wenig sinnvoller Vergleich – die Bogenarten dienten unterschiedlichen Zwecken bzw. die Voraussetzungen ihrer Konstruktion waren nicht vergleichbar. Man sollte Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.
"Timur spricht:
Was ? Ihr missbilliget den kräftigen Sturm
Des Übermuts, verlogne Pfaffen!
Hätt' Allah mich bestimmt zum Wurm,
So hätt' er mich als Wurm geschaffen." - Goethe, West-östlicher Diwan, Buch Timur