Kräftewirkung und Kräftespeicherung im Bogen

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telandor
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Kräftewirkung und Kräftespeicherung im Bogen

Beitrag von telandor »

Hallo zusammen

Ich habe einige grundsätzliche Verständnisschwierigkeiten bzgl. Kräftewirkung und Kräftespeicherung im Bogen beim Ausziehen.

Im Bogensportwiki hat es ein Bild zur Veranschaulichung der Kräftewirkung im Bogen beim Ausziehen:
http://www.bogensportwiki.info/index.php?title=Stacking
Es zeigt die Kraftvektoren.
Soweit ich verstehe, wird bis zu einem Winkel von 90° immer weniger Energie in Stauchung und immer mehr in Biegung umgesetzt.
Ab 90° wird immer weniger Energie in Biegung und immer mehr in Streckung umgesetzt.

Was ich nicht verstehe ist, ob die für Stauchung/Streckung aufgewendete Energie auch auf den Pfeil übertragen wird oder nur die Energie welche in Biegung umgesetzt wurde.
Würde nur die "Biegungsenergie" übertragen, wären doch Winkel nahe 90° am effektivsten für die Pfeilbeschleunigung, da dabei eben mehr Energie in Biegung umgesetzt wird.
Dies würde meiner Meinung nach jedoch der Tatsache widersprechen, dass lange Bögen eine dickere Weg-Zeit-Kurve haben als kurze. Bei den kurzen Bögen ist der Durchschnittswinkel ja eher bei 90° wie bei langen Bögen.

Im Weg-Zeit-Diagramm werden die gemessenen Zuggewichte bei verschiedenen Distanzen eingetragen.
Da wird nichts für die Stauchung/Streckung abgezogen. Somit kann man erneut davon ausgehen, dass die Stauchung/Streckung-Energie übertragen wird.
Intuitiv jedoch hätte ich gesagt, dass nur die Biegung der Wurfarme den Pfeil beschleunigt. Da Holz in längsrichtung kaum elastisch ist kann es in dieser Richtung auch keine Energie speichern.

Könnt ihr mir erklären, ob und wie die in Stauchung/Streckung gespeicherte Energie abgegeben wird?
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Heidjer
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Re: Kräftewirkung und Kräftespeicherung im Bogen

Beitrag von Heidjer »

Ja das Stacking ist etwas unglücklich erklärt.

Im Prinzip wird der Großteil der Energie im Bogen, in der Stauchung des Holzes gespeichert.
Warum will sich ein Stück Holz das gebogen wird, wieder gerade ausrichten?
Das liegt nur daran, das das Holz auf der Bogeninnenseite stark komprimiert wird und darum das Bestreben hat, sich wieder auszudehnen. Die im Bogen eingebrachte Energie wird zum überwiegenden Teil im Holz gespeichert wie in einer Druckfeder auf der Bogeninnenseite.
Darum wird durch das Ausziehen eines Bogens und der Biegung der Wurfarme die Energie in der Stauchung des Bogenbauches gespeichert. Überschreitet jetzt der Sehnenwinkel an den WA Tips die 90° dann wird ein Teil des Wurfarmes wieder lang gezogen. Was bis zu diesen Punkt als Druck in diesem Teil des WA gespeichert war, wird nun durch Zug teilweise neutralisiert. Die Folge davon ist ein unproportionaler Anstieg der Zugkraft des Bogens und gleichzeitig ein Absinkens des Wirkungsgrades des Bogens. Es kann nicht mehr ein Teil der Energie auf den Pfeil übertragen werden, der im Auszug über den 90° Winkel im Bogen eingebracht wurde, weil er als Hystereseverlust bei der Transformation von Zug- zur Druckspeicherung verbraucht wird.

Da jede Biegung von Wurfarmen zuerst zu einer Kompression vom Bogenbauch führt, ist es bis zu einen Winkel von 90° eigentlich völlig egal wie Weit der Bogen ausgezogen wird, er wird den größten Teil der gespeicherten Energie an den Pfeil abgeben. Erst dadurch, dass man die Bögen auf Grund der besseren Handbarkeit möglichst kurz baut, bekommt man das Problem das der Sehnenwinkel nahe an die 90° kommt. Das es mit wesentlich flacheren Winkeln auch sehr gut geht, sieht man an den Yumis oder den ELB. ;)


Gruß Dirk
Ein Pfeil, den Schaft gemacht aus der Pflanzen hölzern Teil, versehen mit eines Vogels Federn und einer Spitze, aus der Erde Mineral, wird von der Natur gern zurückgenommen.
telandor
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Re: Kräftewirkung und Kräftespeicherung im Bogen

Beitrag von telandor »

Vielen Dank für die ausführliche Erklärung.
Heidjer hat geschrieben:Das liegt nur daran, das das Holz auf der Bogeninnenseite stark komprimiert wird und darum das Bestreben hat, sich wieder auszudehnen.
Die Geradestreckung eines gebogenen WAs erfolgt also durch das Geradestrecken des Bauches? Der Rücken versucht sich nicht zusammenzuziehen?
Heidjer hat geschrieben:Was bis zu diesen Punkt als Druck in diesem Teil des WA gespeichert war, wird nun durch Zug teilweise neutralisiert.
Verstehe ich dies richtig, dass bei der Streckung des WAs ein Teil der gespeicherten Energie wieder verloren geht?
Heidjer hat geschrieben:weil er als Hystereseverlust bei der Transformation von Zug- zur Druckspeicherung verbraucht wird.
Das verstehe ich nicht ganz. Könntest du dies genauer erklären?
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Heidjer
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Re: Kräftewirkung und Kräftespeicherung im Bogen

Beitrag von Heidjer »

telandor hat geschrieben:...Die Geradestreckung eines gebogenen WAs erfolgt also durch das Geradestrecken des Bauches? Der Rücken versucht sich nicht zusammenzuziehen?...
Doch natürlich, nur wird die Masse der Energie in der Kompression des Bogenbauches gespeichert, der Bogenrücken wird nur minimal gestreckt. Die neutrale Ebene, ist im Holz immer zum Bogenrücken hin verschoben, Holz läßt sich wesentlich leichter komprimieren wie strecken, die Zugfestigkeit übersteigt immer die Druckfestigkeit.
Wie es bei anderen WA-Materialien aussieht kann ich aktuell so nicht sagen, vermute aber das es ähnlich ist. Nur auf Grund der Wurfarmdicke bei Holzbögen um ~15mm und mehr, ergibt sich eine erhebliche Längenänderung von ~1cm wenn ein Stab von 1,7m von gerade zu einen Drittelkreis gebogen wird (Längenunterschied zwischen Bogenrücken und Bogenbauch).
Von diesen ca 1cm (etwas grob gerechnet) wird der Bogenrücken nur wenig in die Länge gezogen, der größte Teil geht in die Stauchung des Bogenbauches. ;)
telandor hat geschrieben:...Verstehe ich dies richtig, dass bei der Streckung des WAs ein Teil der gespeicherten Energie wieder verloren geht?...
Nein nicht verloren, Energie geht nicht verloren, sie wird höchstens gewandelt (Transformiert), allein dabei gibt es schon Hystereseverluste. Ich kann jetzt auch nicht sagen wieviel Energie wo im WA gespeichert ist, allein das sich die Kräfte bei einen Sehnenwinkel von 90° von Druck (-aufbau) zu Zug ändern, muß eine Verschiebung der gespeicherten Energie im Bogen zur Folge haben. Auf Grund der Hebelkräfte im Wurfarm kann dies aber nur auf einer kurzen Strecke in Tipnähe sein.


Gruß Dirk
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