Stimmt - hat sich aber paradoxerweise im Nachhinein als Glücksfall erwiesen. Da ein Stück im Eis verblieb, konnte es später genau eingemessen werden und die Fundsituation so genau dokumentiert werden. Am ersten Tag ging es ja nicht gerade sanft zu, man muss aber dazu sagen, dass die Bedeutung des Fundes damals völlig unklar war (man glaubte, die Leiche sei höchstens 100 Jahre alt).GottfriedM hat geschrieben:Faszinierend für mich auch der Bogen des Steinzeitmenschen. Obwohl er ja, soweit ich in Erinnerung habe, bei der Bergung zerbrochen ist
Zur Genetik: Ötzi wurde ja seit seinem Fund einige Male untersucht, aber das beschränkte sich bisher auf die Untersuchung der mitochondrialen DNA (also nicht aus dem Zellkern, sondern aus den "Zellkraftwerken"). Diese macht nur einen winzigen Bruchteil der DNA eines Menschen aus (16 tausend Basenpaaren im Gegensatz zu 3,2 Milliarden auf dem Kerngenom), wird aber nahezu unverändert über die Mutterlinie weitergegeben und ist daher sehr interessant - außerdem hat sie die tolle Eigenschaft, in vielfacher Kopie in jeder Zelle vorhanden zu sein (im Gegensatz zu 2 Kopien des Kerngenoms pro Zelle). DNA geht mit der Zeit kaputt, zerfällt in immer kleinere Stücke und erfährt auch charakteristische chemische Veränderungen. Je mehr also ursprünglich vorhanden war, desto höher die Chancen, auch nachher was rauszubekommen. Daher ist das "Lesen" von Kern-DNA aus alten Knochen weitaus schwerer als mitochondriale DNA. Es wurde einige Male mit der herkömmlichen PCR versucht (bei der ein kurzes Stück DNA gezielt ausgewählt und milliardenfach kopiert wird, damit es in ausreichender menge vorhanden und mittels Sequenzierung lesbar wird), hat aber bisher nicht geklappt, da Ötzi's DNA eifach in zu kleinen Stücken vorhanden war.
Die jetzige Studie hat erstmals eine relativ neue Methode angewandt, welche nicht ein kleines Stück der DNA auswählt, sondern die komplette in einer Probe enthaltenen DNA vervielfältigt. Um es stark vereinfacht auszudrücken: Die aus den Knochenproben extrahierte DNA wird einem speziellen biochemischen Verfahren unterzogen, bei dem jedes Fitzelchen DNA in einer Probe an ein mikroskopisch kleines Kügelchen geklebt wird, und jedes Kügelchen kopiert dann "sein" Fitzelchen. Raus kommen viele viele Fitzelchen, die als Buchstabensequenzen herausgelesen werden. Diese vielen vielen Sequenzen werden dann mittels bioinformatischer Software der richtigen Stelle des (bereits bekannten) menschlichen Genoms zugeordnet. Dem Zufallsprinzip nach ist dann jedes Stück der DNA mehr oder weniger gut abgedeckt (wobei manche Stellen naturgemäß schlecht wegkommen, in manchen Gegenden gibt es Wiederholungen, hier hat die Software ihre Probleme). Aus diesen Rohdaten (ca. 50 Gigabyte alleine nur Ötzi) haben wir dann die Information herausgeholt. Stellen, die wir gezielt checken wollten, wurden per Hand nachgeguckt, andere (z.B. medizinisch relevante, bei denen wir nicht wussten, was da sein könnte) wurden mit diversen Datenbanken herausgefiltert.
Zu guter letzt muss man - gerade bei alter DNA, die (aufgrund der geringen Menge) nototisch anfällig für Verunreinigungen ist - "echtheit" der Ergebnisse beweisen. Dies haben wir zweifach gemacht. Vor einigen Jahren hat eine andere italienische Forschergruppe Ötzi's gesamtes Mitochondrium (hatten wir weiter oben) sequenziert, das lag uns also als Referenz vor. Da dies aus einer anderen Probe, in einem anderen Labor und von anderen Leuten bearbeitet wurde, ist die Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Verunreinigung sehr klein. Ötzi hat bestimmte Veränderungen auf der mtDNA, die bislang bei keinem lebenden Menschen gefunden wurden. Und genau diese haben wir im mitochondrialen Teil unserer Rohdaten gefunden. Die Abweichung war weit unter 1% und kommt durch zerfallsprozesse zustande (weniger durch Verunreinigung).
Dann wollten wir's aber nochmal genauer wissen und haben doch noch mal eine herkömmliche PCR an einer separaten Probe probiert: Wir haben speziell versucht den Bereich zu kriegen, der Ötzi's Haplogruppe definiert (und demnach sehr selten ist). Und nach 4 Versuchen, und Anwendung diverser Tricks, haben wir diese auch bekommen, und sie stimmte perfekt mit unseren Rohdaten überein. So war das Feld frei für weitere Untersuchungen...
Das erste, was ich geschaut habe, war übrigens die Laktase und die Augenfarbe (beides hatte ich zuvor in Mainz an Skythenproben angewandt). Seit 20 Jahren heißt es nämlich immer wieder, Ötzi hatte blaue Augen. Wer das in die Welt gesetzt hat, weiß keiner (es gibt keine Fachpublikationen darüber), die Augen sind jedenfalls heute gräulich-ausgebleicht. Ein Blick in die DNA und schnell wird klar, dass Ötzi mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit braune Augen hatte. Für die Menschheitsgeschichte vielleicht irrelevant, aber wir fanden's einfach spannend, dem lebenden Ötzi ein Stück näher zu rücken (und die neue Rekonstruktion hat dann ganz schnell braune Augen verpasst bekommen

Hier übrigens der Link zur Publikation (allerdings nur Abstract, die Vollversion haben selbst wir noch nicht bekommen):
http://www.nature.com/ncomms/journal/v3 ... s1701.html