Na dann…
..werde ich mal weiterer Spielverderber bzw. auch Nicht-Spielverderber sein:
Wenn es heißt, tibetischer Kompositbogen muß ich mich fragen, was das denn eigentlich sein soll. Dabei komme ich zu dem Schluß, dass jedes der hier vorher eingebrachten Argumente teilweise zutrifft, teilweise aber auch nicht.
Wenn Andre berichtet, man hab ihm gesagt, dass die betreffenden Bögen schon seit Generationen in Gebrauch oder Besitz der Familien sind, so ist es nicht ausgeschlossen, dass sie auch qingzeitlichen Einflüssen unterlagen, da die betreffende Dynastie 1644 begann. Wenn also die besagten Bögen, wie von Benz zitiert, wirklich erst mit den Qing eingeführt wurden, ist eine Vermischung zunächst erst einmal theoretisch möglich, zumindest seit dieser Zeit. Man kann aber auch argumentieren, dies wäre aufgrund der vielzitierten Abgeschlossenheit Tibets nicht möglich gewesen oder fragen, warum sie denn nicht früher möglich gewesen sein sollte bzw. woher denn dann die Abweichungen der gezeigten Bögen vom „Qingstandard“ kommen.
Mit dieser Betrachtungsweise kommt man aber nicht unbedingt weiter.
Vielmehr erschließt sich die Essenz dessen, womit man es hier zu tun hat und was ein „tibetischer Kompositbogen“ ist bzw. sein könnte erst vor dem historischen Hintergrund:
Wenn es einen „urtibetischen Bogen“ oder von mir aus auch Kompositbogen gegeben hat, so ist dieser sicher in der Zeit zu suchen, in welcher sich das Tibetische Reich, oder besser, der Bereich der mehr oder weniger vereinigten Stämme des tibet. Hochplateus - der ursprünglich i. ü. etwas größer als die heutige chin. Provinz, insbesondere vermehrt um die Provinzen Qinghai und Sichuan war - aufgrund seiner damals bestehenden, militärischen Stärke noch erfolgreich gegen äußere, insbesondere chinesische Einflüsse zur Wehr setzen konnte. Dies war der Zeitraum bis zum Erstarken der Tang-Dynastie in Centralchina, also vor deren Beginn im Jahre 618 n. Chr. . Aus diesem Zeitraum ist mir kein Nachweis eine „urtypischen“ oder besser aus diesem Gebiet stammenden Kompositbogens bekannt.
Im Zeitraum der Tangdynastie näherten sich die vereinigten tibetsichen Stämme oder das „Tibetische Reich“ unter Songtsan Gampo (sog. Tubo-Dynastie) dem chin. Großreich an. Das ging soweit, dass jener sich sogar mit einer Tochter des Tangkaisers vereihratete (a. d. 641) – über die wahren Beweggründe dieser Verbindung (Realisierung von Handelsbeziehungen oder die Sicherung gegen einen Übergriff des erstarkenden China) wird bislang ebenso gestritten, wie über die Frage, ob Tibet seit dieser Zeit Teil oder Provinz oder zumindest abhängiger Vasallenstaat Chinas gewesen ist.
Jedenfalls bestanden aufgrund seitdem regster Handelsbeziehungen zu China auch die Möglichkeiten, in China bis zu diesem Zeitpunkt sicher existierende Kompositbögen/-bautechniken (vgl. dazu Selby, „Chinese Archery“) nach Tibet zu bringen (waffentechnisch ist ein Interesse der bis dato als recht kriegerisch bekannten Tibeter sicher vorhanden gewesen) . Insofern könnte hier schon eine Vermischung stattgefunden haben. Mangels Funden ist diese Betrachtung jedoch immer noch recht theoretisch.
Infolge von ziemlich chaotsichen, kriegerischen Zerwürfnissen seit dem ersten Drittel des 9. Jh., andauernd über mehrere hundert Jahre, in deren Ergebnis das mehr oder weniger von China abhängige Gebiet der Tubo-Dynastie innerlich zerfiel und äußerlich geschwächt wurde, überrannten Mitte des 13. Jh. die Mongolen unter Dschingis Khan weite Teile des heutigen Chinas bis hin zur heutigen Grenze gen Burma und auch das gesamte tibetische Hochplateau. Dieses wurde ohne Zugeständnisse dem Mongolischen Reich einverleibt, welches sich seitdem als sogenannte Yuan-Dynastie auf dem Gebiet Chinas etablierte und spätestens seit 1279 ganz China inklusive Tibet einte (Dieser Umstand ist ein weiterer Punkt, der immer zu heftigen Diskussionen bzgl. der Frage der Unabhängigkeit Tibets von China führt.).
Im Endeffekt ist es daher nicht nur theoretisch möglich, sonder so gut wie sicher, dass mongolische Kompostbögen/.-techniken schon über die kriegerische Schiene in dieser Zeit nach Tibet kamen und den dortigen Bogenbau sicher beeinflußt haben. Dieses wird auch noch dadurch bestärkt, dass der unter den Yuan errichtetet Verwaltungsbezirk Tibet mit seinen Lamas eine starke Missions- und Handelstätigkeit mit den mongolischen Herrschern begann, welche jene derart beeindruckte, dass der lamaistische Kultus von den bis dato meist schamanistisch beeinflußten Mongolen weitestgehend assimiliert wurde. Im Zuge des damit auch verbundenen Handelsaustausches kann ein Gelangen von Kompositbögen/-bautechniekn mongolischen Typus auf das tibetische Hochplateau ebenfalls als sicher unterstellt werden.
Allein, dass heute in der äußeren Mongolai das Bogenschießen neu belebt werden muß und die dortigen Bögen angeblich nur neuere oder angeblich von den Mandschuh beeinflußte, plumpe Bögen wären, angesichts derer sich der ein oder andere sein Bild vom etwaigen Aussehen Mongolischer Bögen aus der Zeit der Yuan „zusammenphilosophiert“, kann dem kein Abbruch tun.
In diesem Zusammenhang sollte man sich, soweit vorhanden, auf originäre Bögen aus dieser (Yuan-) Zeit stützen, um den, wie vorgezeigt als sicher anzusehenden, Einfluß mongolischer Bögen auf die „tibetischen“ praktisch zu untermauern.
Daher dürfte der Unsicherheit in der Bemerkung von Snake-Jo hinsichtlich des mongol. Einfluß wohl abgeholfen sein.
Insoweit ist es dann zwar auch sicher, dass die Mandschuh mit ihrer Machtübernahme ihre Einflüsse beim Kompositbogenbau auch nach Tibet mit hineingebracht haben werden. Aber anhand des Vorangesagten kann man das Zitat von Benzi, welches – das Zitat und nicht er ! – eine Art Allgemeinverbindlichkeitsdogma zu beanspruchen sucht, so nicht stehenlassen:
Die Qing führten den Kompositbogen in dieser Form sicher nicht als Erste in China ein ! Diese Behauptung mag vielleicht für die Bögen mit den recht langen Siyahs zutreffen – ohne dass ich mich darauf versteifen will.
Hinsichtlich der Bauweise, wie sie jedoch die von Andre gezeigten Bögen betrifft, kann das Zitat sicher keine Geltung beanspruchen – auch wenn es ohne Beleg immer wieder und von jedem gebetsmühlenartig nach- und abgeschrieben zu werden scheint, frei nach dem Motto, dass das Unwahre nur oft genug wiederholt zu werden braucht, auf dass es dadurch zur Wahrheit werde.
Im Endergebnis kommt man dazu, dass es sich bei den tibetischen Kompositbögen um Horn-Sehnenkompositbögen handelt, die ungeachtet ihres Ursprungens stark durch den mongolischen Kompositbogenbau der Yuan-Dynastie geprägt wurden und wohl auch noch qingzeitlichen Einflüssen unterlagen.
Dabei variierten die Größe der Bögen ebenso, wie die Siyahs nicht die Länge des klassischen Qingbogens (Frage: Was ist dieser überhaupt und wer bestimmt, was klassisch ist ?) erreichten, sondern, vermutlich in der Tradition der mongolischen Bögen, kürzer waren.
Dieses Bild entspricht auch den Bögen, die ich in eingen Antiquitätenläden in Nordsichuan auftreiben konnte.
Als weiteren Vertreter dieser Gattung anhängend Bilder eines solchen Bogens, aufgenommen auf den Panjiayun-Curio-Art-Market in Beijing am Stand eines Händlers aus dem tibetischen Raum (im Hintergrund befindet sich aller möglicher echt alter und „echt nachgemacht alter“ Krempel….).
Bitte vom Knicht am Griffstück nicht irritieren lassen: Der Bogen war dort gebrochen – daher habe ich ihn auch nicht erworben.
Die Preise für solche historische Bögen betragen je nach Provinz, in der man sie auftreibt zwischen 150 und 400 Euro (Anfangspreis beim Feilschen, daher in Realiter eher die Hälfte, wenn man gut Chinesisch spricht). Ausfuhr: Wie Andre sagte, etwas schweirig, aber nicht unmöglich, wenn man wirklich will, etwas kreativ ist und …. .
Grüße
Ralph