Konnte damals jeder reiten?

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Stamperl
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Stamperl » 16.01.2009, 15:46

Ja, ich bin leider weiter unten in die Zeit der Kelten verfallen, weil in dieser Beziehung in einer sehr geschichtsträchtigen Gegend wohne.
Derr Grund der Frage war eines Teils wirklich Reenactment, aber hauptsächlich persönliches Interesse, da mich das damalige Leben schon von Kindesbeinen an fasziniert.
Da ich viele verschiedene Hobbies habe, die relativ viel mit der alten und neuen "Kriegskunst" zu tun hat, stellte sich mir irgendwann die Frage, wieviel Reiterei überhaupt theoretisch möglich gewesen wäre.

Danke für die vielen Antworten, beste Grüße, Stamperl
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RubenAryala
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von RubenAryala » 16.01.2009, 19:13

Die Frage "Konnte damals jeder reiten" läßt sich zuverlässig mit "nein" beantworten. Es kann nämlich als sicher gelten, daß im Jahre 1000 nur wenige Personen überhaupt Zugang zu einem Pferd hatten. Zu jener Zeit war ein Bevölkerungsanteil von etwa 90% in der Landwirtschaft. Diese Leute gingen zu Fuß und schätzten sich schon froh, wenn ein Ochse als Zugtier zur Verfügung stand. Wenn schon Viehzeug, dann verfügte man über Kühe, Schafe, Schweine, Hühner, Gänse, Ochsen und Esel. In Kriegszeiten wurden aus dem Bauernstand die Fußtruppen oder Hilfstruppen ausgehoben. Die gepanzerte Reiterei war ein Hobby des Adels. Wenn man sich dieses Bild vor Augen führt, kommt man mE nicht um den Schluß herum, daß Pferde als Luxusgut oder Kriegsgerät zu betrachten war, dessen Besitz und Nutzung nur wenigen vorbehalten war.

Lord Bane
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Lord Bane » 16.01.2009, 22:33

Um 1100 bis 1200 erfolgte langsam die Umstellung vom Ochsenkarren zum Pferdekarren ... in mittelalterlichen Schriften wurde zwischen Ross und Gaul (o.ä.) sehr wohl unterschieden ...
Pferde für den Kriegseinsatz waren teuer und edel ... es waren halt Rösser und keine Arbeitspferde, die es allerdings sehr wohl gab.
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Archiv » 16.01.2009, 23:28

Lord Bane, hast du da ein Quelle dafür? Ich habe mal gelernt, dass die Umstellung auf das Pferdefuhrwerk erst mit dem einsetzen der Industrialisierung stattfand.
Rinder können je Kilogramm Körpermasse wesentlich mehr ziehen als Pferde und brauchen dabei weniger Fütter als die Gäule. Nur sind sie etwas langsamer.

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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Stamperl » 17.01.2009, 17:37

Also, ich hab jetzt auch keine genaue Quelle, aber weiss, das das "Kummet"(richtig geschrieben?) um eben diesen Zeitpunkt(12. Jahrhundert) seinen Einzug hielt. zur selben Zeit, wie die Drei-Felder Wirtschaft. Ich hoffe, ich täusche mich nicht.
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Archiv » 17.01.2009, 18:10

Du irrst. Das Kumt gab s auch für Rinder. http://de.wikipedia.org/wiki/Geschirr_(Zugtier) und die Römer haben es schon benutzt, so in diesem Typ. http://de.wikipedia.org/wiki/Geschirr_(Zugtier)#Marathonkumt

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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Stamperl » 17.01.2009, 18:21

Ja, das Joch aus Holz. Aber das Lederkummet(den ganzen Hals umschlingend) direkt für Pferde, das sie auch in der Landwirtschaft sinnvoll eingesetzt werden konnten, erst im 12. Jahrhundert.
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Lord Bane » 17.01.2009, 21:34

Pferde sind wendiger und nicht so störrisch ... und so viel Leistung brauchen die nicht ... und wie gesagt, ich redete nicht von Schlachtrössern oder Reittieren, sondern von Kaltblütern ...
In Düppel brauchten die über 2 Jahre, bis der Ochse den Karren zog ... anfänglich ging der auf die Pfleger los. Sowas passiert dir mit nem Kaltblüter im Normalfall nicht.
Wegen den Quellen muss ich ´ne Kommilitonin fragen ... wir diskutierten die Thematik "Haustiere" in einer Sitzung eines Seminars.
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Angela » 17.01.2009, 22:49

Lord Bane hat geschrieben:In Düppel brauchten die über 2 Jahre, bis der Ochse den Karren zog ... anfänglich ging der auf die Pfleger los. Sowas passiert dir mit nem Kaltblüter im Normalfall nicht.


Ich würde von einem solchen Experiment nicht auf die allgemeine Tauglichkeit von Zugtierrassen schließen. Rinder werden schon lange nicht mehr nach Zugleistungskriterien gezüchtet, da kann man auch nicht von ihnen erwarten, dass sie gleich mit Pflug losmarschieren. Da würden viele Pferde, die nicht für sowas gezüchtet wurden, ähnliche Probleme machen (ob die "Rinderausbilder" auch erfahren in solchen Sachen sind spielt auch eine Rolle). Der Vorteil an ihnen ist die vielseitige Nutzung, sie ziehen den Pflug und andere Karren, geben Milch (Stuten zwar auch, aber die ist bäh) und essen kann man sie auch (bei uns ist Pferd-essen seit den Römern immer ziemlich tabu gewesen, sehen einige Nachbarländer natürlich anders).

Kühe dagegen kann man nicht reiten (jedenfalls nicht sonderlich effektiv, Tobi wird mir allerdings widersprechen  ;) ). Das dürfte m.E. eher der Grund sein, weshalb Rinder öfters in der Landwirtschaft eingesetzt wurden als Pferde, da letztere andere Jobs hatten. Wirklich große, schwere Kaltblüter im heutigen Sinne gab es zu der Zeit auch nicht, die in der Landwirtschaft eingesetzten Pferde dürften eher von der Sorte gewesen sein, die als bessere oder kräftigere Reitpferde nicht taugten (oder ausgediente Reit- und Rennpferde, zumindest war das in römischer Zeit der Fall).

Zum Joch: Sowas gab's auch im 9. Jh (siehe Bild, aus W. Abel, Geschichte der deutschen landwirtschaft von frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert), ob es allerdings auch zum landwirtschaftlichen Gebrauch eingesetzt wurde, lässt sich daraus nicht schließen.Bild

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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Anuk » 18.01.2009, 12:18

Was die Frage des Einsatzes von Pferden als Zugtiere in der Landwirtschaft angeht, steht in den Schulgeschichtsbüchern, dass dies seit dem Mittelalter der Fall war. Das heißt ja nicht, dass absolut jeder Bauer ein Pferd vorgespannt hatte, sondern nur, dass dies eher mal geschah als vorher. Letztlich dürfte das auch von den landschaftlichen Gegebenheiten abhängen und der Möglichkeit, genug Futter für den Winter zu erwirtschaften. Das war problematisch und es gibt Holzstiche, auf denen das 'Rausziehen' der völlig geschwächten Rinder auf einer Art Bahre auf die Wiesen im Frühjahr dargestellt wird. Ein Pferd hätte unter solchen Umständen schon längst auf eine ganz andere Art ins Gras gebissen.
Andererseits heißt das Vorhandensein eines Pferdes als Zugtier auch nicht, dass man sich da draufgesetzt hat. Erstens steht dabei immer noch das Risiko im Weg, zweitens ist Reiten im hier wohl gefragten Sinne als Freizeitbeschäftigung nichts, was man einem mittelalterlichen Landmenschen schmackhaft machen kann. Dazu wurde zu hart und zu lange gearbeitet. Das gilt über lange Jahrhunderte in der Landwirtschaft letztlich noch bis ins 20. Jhd hinein. Da hat man vielleicht mal Junior zur Schwemme reiten lassen, aber das war hier mit "Reiten können" nicht gemeint, oder? Außerdem ist noch die Frage der Standeszugehörigkeit zu bedenken. Auch dazu gibt es Bilder/Holzschnitte, die teilweise Bauern auf dem Pferderücken zeigen, aber keine allgemeine Bewegung der Art "Heut reit' mir ins Städtle". Ich würde da zwischen "auf dem Pferd sitzen" und "reiten" als elaborierte Form unterscheiden.
LG A.
Und mein geflügelt Werkzeug ist mein Wort (F.S.)

Haben Sie die Lösung oder sind Sie selbst Teil des Problems?

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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Angela » 18.01.2009, 12:53

Anuk hat geschrieben: Ich würde da zwischen "auf dem Pferd sitzen" und "reiten" als elaborierte Form unterscheiden.


Die Frage, was nun unter "reiten können" in diesem Zusammenhang zu verstehe sein, wurde schon früh im Thread angesprochen - aber irgendwie gab's kein einheitliches Ergebnis. Sich auf ein Reittier festhalten und dieses in gemächlicher Gangart von A nach B steuern können war ohne Frage weiter verbreitet als "reiten können" im Sinne einer Reitausbildung zu Kriegszwecke, Botendienste, Adelsbespaßung usw. 

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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Stamperl » 18.01.2009, 15:50

Interessant, das mit dem Kummet war mir jetzt doch neu,...

Also ich meine reiten, im Sinne von reiten können. Also schnell und gezielt von A nach B kommen. Kriegseinsatz ist ja dann nochmal ne ganz andere Schiene.
Da mich bei Thema Mittelalter eigentlich hauptsächlich das Leben der normalen Leute interessiert, liegt da auch der Schwerpunkt meiner Frage.
Habe das leider nicht genau formuliert, weil ich mir dem Unfang der Frage nicht bewusst war.

Beste Grüße, Stamperl
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Anuk » 18.01.2009, 19:30

Na, Stamperl,
mit den 'normalen Leuten' machst du es aber auch nicht leichter! Letztlich muss man sich eine Gesellschaft vorstellen, die in sich viel deutlicher abgegrenzt war. Nicht unbedingt nur rechtlich, sondern auch von den eigenen Vorstellungen. Dabei spielt noch nichtmal Geld die wesentliche Rolle (hatte sowieso kaum einer). Es gab Dinge, die man eben 'einfach' nicht gemacht hat. Insofern lebte der Mensch in viel engeren Grenzen, die er sich und die seine Mitwelt um ihn zog.. Von der Kirche muss man da erst gar nicht reden. Denn jeder Verstoß gegen die Regel -wo immer die auch herkam- ist ein Verstoß gegen die als göttlich angenommene Ordnung. Revoluzzertum war da nun echt eher nicht angesagt. Und wenn man dann noch an die Unterschiede von Männern und Frauen denkt, wird es ganz fatal. Also ehrlich, die Vorstellungen vom Mittelalter sind oft zu romantisch eingefärbt, denke ich. Für mich wäre es der absolute Horror, zu der Zeit gelebt zu haben, autofreie Zone hin oder her. Jedenfalls ist die Form von Reitkunst, die du angefragt hattest, nicht für die breite Masse, sprich, den Dritten Stand denkbar. Da muss schon was für den Adel reserviert bleiben! Auch wenn es irgendwo mal eine Ausnahme gegeben haben mag, nicht umsonst gibt es den Begriff des 'sich auf's hohe Ross Schwingens', und das war für einen Nicht - Adligen nur ganz bedingt ratsam, wenn es nicht grad ein Bote war. 
Woher beziehst du denn normalerweise deine Informationen? Für das Alltagsleben im Mittelalter ist Arno Borst eine ganz gute Quelle, der ist sogar lesbar.
LG A.
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Stamperl » 18.01.2009, 20:27

Vielen Dank,..vor allem natürlich aus Büchern.
Ich seh das ja teilweise so ähnlich wie du. Wobei ich jetzt mal von der ganzen Romantik auch weggehe und glaube, das man durchaus seinen Spaß damals gehabt hatte. Ich denke jetzt nicht an pures lockeres Revoluzzertum, sondern eben eher an Alltag. Ich kann mir nicht vorstellen, das im Mittelalter alles nur düster war, egal welcher Stand.
Aber um auf das Reiten zurückzukommen, wahrscheinlich hast du recht. Die Frage ist viel komplizierter, als gedacht.
Da mein Interesse nicht einem bestimmten sozialen Stand(ob bzw. Mönch, Städter oder Bauer), kann ich mich da leider auch nicht genau festlegen.
Ich lese leider dadurch auch eher in einem breitgefächerten, aber nicht tieferen Spektrum an bekannten Büchern, was dann dazu führt, das mein Wissen auch leider ein bisschen oberflächlich ist.
Anderseits ist es auch schwierig(also für mich zumindestens im Moment), genau die richtigen Quellen herauszupicken bzw. zu wissen ob das nun seriös recherschiert ist oder einfach Humbug ist.
Da meine Hobbies vielfältig sind und nicht "nur" den Bogen oder Mittelalter betreffen macht die Sache auch nicht einfacher, also soviel erstmal zu meiner Person=).

Aber das war halt ne Frage, die ich nicht aus Büchern rauslesen konnte. Und für jemand der einigermassen viel in Deutschland unterwegs ist, stellte sich mir die Frage automatisch irgendwann.
Leider hab ich von Reiten überhaupt keine Ahnung, was die sache auch nicht leichter macht. Reiten lernen steht zwar noch auf meiner "ToDo-List", aber weiter hinten.

Ich muss allerdings auch sagen, das mir die vielfältigen Antworten auch so schon weitergeholfen haben und danke jedem für sein Einbringen.

Beste Grüße, Stamperl
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Re: Konnte damals jeder reiten?

Beitrag von Archive » 19.01.2009, 03:06

Lord Bane hat geschrieben:Pferde sind wendiger und nicht so störrisch ... und so viel Leistung brauchen die nicht ... und wie gesagt, ich redete nicht von Schlachtrössern oder Reittieren, sondern von Kaltblütern ...
In Düppel brauchten die über 2 Jahre, bis der Ochse den Karren zog ... anfänglich ging der auf die Pfleger los. Sowas passiert dir mit nem Kaltblüter im Normalfall nicht.
Wegen den Quellen muss ich ´ne Kommilitonin fragen ... wir diskutierten die Thematik "Haustiere" in einer Sitzung eines Seminars.


- Rinder sind wesentlich wendiger als Pferde.
- Rinder sind bei fairer Behandlung überhaupt nicht störrisch und viel weniger schreckhaft als Pferde. Im Gegenteil sie sind wesentlich kooperativer als Pferde. Ein Rind das noch nie einen Hänger gesehen hat ist viel schneller auf einen solchen zu verladen als es in vergleichbarer Situation mit einem Pferd möglich ist.
- Und viel Leistung wurde gebraucht. Versuch du mal einen Pflug zu ziehen.
- Wie Angela schon schrieb sind Kaltblüter eine Zuchtrichtung der Neuzeit. Sie wurden erst mit der Industrialisierung rentabel.

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