Literaturtip: "Die Wunder des Nordens" - Geschichten aus Nordeuropa von 1539

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dietze
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Literaturtip: "Die Wunder des Nordens" - Geschichten aus Nordeuropa von 1539

Beitrag von dietze » 07.09.2006, 09:23

In der Frankfurter Rundschau von heute (7.9.06) erschien folgender Literaturhinweis:
(siehe auch hier )

Böse Schnaken

Das Leben ist hart: Altnordische Geschichten in der Romanfabrik

VON ANNE LEMHÖFER

Im Dezember und im Januar geht die Sonne nicht auf. Nur mit Fackel kann man ein bisschen sehen. Aber dann: "Vom 25. Tag des Aprillen biß auf den achten Tag Septembris ist es Tag ohne eynige Finsterniß." Praktisch, denn jetzt lässt sich "die allerkleyneste Schrifft ohn eyn Licht lesen und auch Gelt zehlen." So ist das Leben in der Finnmark.

Die Finnmark liegt ganz oben im Norden von Norwegen. Eine ganze Menge Leute fahren heutzutage von der Mitte Europas aus in weißen Wohnmobilen mit Elchaufklebern ans Nordkap, das in der Finnmark liegt, lesen Bücher in der Mitternachtssonne, und kennen den Namen der beinahe baumlosen Landschaft 300 Kilometer nördlich des Polarkreises aus dem ADAC-Straßenatlas. Im Mittelalter dagegen, als Amerika längst entdeckt und Afrika bereist war, galt Skandinavien immer noch als Terra incognita.

Olaus Magnus, der letzte katholische Erzbischof von Uppsala, fand das nicht akzeptabel und stellte im Jahr 1539 im italienischen Exil eine phantastischen Karte von Norwegen, Schweden, Finnland und Island her. Und weil so eine Karte allein noch nicht viel sagt, teilte der Kirchenmann auf einer beiligenden "Beschreibung der Völker des Nordens" auch gleich mit, wer in der Finnmark und all den anderen von "trüb, elend, schwarz, erschröcklich Wetter" gezeichneten Orten alles wohnte: "Starcke und dapffere Leuth" zum Beispiel und "böse Schnaken". Zum ersten Mal also hatte das so gut wie unbekannte Nordeuropa Umrisse erhalten, und wirklich erstaunlich daran ist auf den ersten Blick nur, dass beide, Buch und Karte, jetzt im Eichborn-Verlag erschienen sind. Elena Balzamo und Reinhard Kaiser haben sich der 1567 vom lateinischen Original ins lutherzeitliche Deutsch übersetzten Geschichten angenommen und sie zusammen mit Olaus Magnus' reich bebilderter "Carta Marina" unter dem Titel Wunder des Nordens neu ediert.


Von Monstern und Moskitos
(...)
Seepferdchen gucken grimmig unter Augenbrauen hervor, und Wale spielen sich im Eismeer Holzfässer zu: Mit der "Carta Marina" ist Olaus Magnus auch ein veritabler Comic gelungen, der im Eichborn-Programm kein bisschen fehl am Platz wirkt. Die Wunder des Nordens sind ein kartografisches und literarisches Panorama spätmittelalterlichen Lebens, ein bizarrer Kosmos aus Menschen und Monstern und Moskitos, in dem Bären in Jungfrauen verliebt sind und Leute prima Partys in Häusern aus Walrippen feiern. Und auch die in den Wohnmobilen mit Elchaufklebern erfahren richtig Nützliches für den nächsten Urlaub: Die nordische Plage schlechthin, die Schnaken, vertreibt nämlich ganz leicht, wer "eyn Rauch machet von Wackholderstauden." Aha.

Olaus Magnus, "Die Wunder des Nordens". Herausgegeben von Elena Balzamo und Reinhard Kaiser, Eichborn Verlag, Frankfurt 2006, 32 Euro.
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- Bin ein Bär von geringem Verstand
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