Janitschar hat angeregt, dass ich hier einmal erzählen soll, wie ich zur Daumentechnik gekommen bin und speziell über meine Erfahrungen mit der Gruppe "Tirendaz" in Istanbul. Benzi hatte dann noch eine konkrete Frage, was es für Quellen zum kurzen Auszug der osmanischen Bogenschützen gibt. Wohlan denn... Bitte scheut euch nicht, nachzufragen, wenn ich wo was genauer erklären oder hinzufügen soll
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Auf die Daumentechnik kam ich über das osmanische Bogenschießen, darüber bin ich per Zufall Anfang 2011 gestolpert, als ich in einem ganz anderen Zusammenhang etwas über den "Okmeydan", das Übungsgelände für Bogenschützen in Istanbul (heutiger Stadtteil Kagithane) gelesen habe. Das hat dann das kleine Herz gefreut, eine Überschneidung vom Hobby Bogenschießen und der beruflichen Beschäftigung mit türkischer Geschichte! Ich habe dies und das online recherchiert und gelesen, so kam ich überhaupt erst zu Fletcher's Corner. Experimentiert habe ich auch, mit dem kürzlich zerborstenen Hasel-Langbogen und einem schnell zusammengeschusterten Leder-Tab für den Daumen. Dabei habe ich dann mit Bogen, Pfeil und Armen eine Art Mikado-Spiel veranstaltet
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Das änderte sich, als ich im Juni/Juli 2011 in Istanbul auf Recherche war. Schon vorher war ich im Internet auf die diversen Gruppen gestoßen, die in der Türkei daran arbeiten, das traditionelle türkisch/osmanische Bogenschießen wiederzubeleben. Eine davon kam mir von der Wirkung her irgendwie sympatisch vor, das war die Gruppe "Tirendaz", ins Leben gerufen von Murat Özveri. Tirendaz hat eine recht informative Website (www.tirendaz.com) mit allerhand interessanten Bildern, Videos und Texten zum Thema. Ich also unverweilt eine email hingeschrieben, ich wäre in Istanbul, ob ich nicht mal dazukommen könnte, ein bischen Hintergrund im traditionellen Bogenschießen "westeuropäischer Art", Historiker, etc. Murat Özveri schrieb prompt sehr freundlich zurück und lud mich zum sonntäglichen Training im Fußballstadion in Maltepe (Stadtteil im asiatischen Teil von Istanbul) ein. Aufgrund von Erfahrungen mit Vereinen in anderen Teilen der Welt (ich hab da in der Vergangenheit ein bischen Pech gehabt...) hatte ich erwartet, dass es ein bischen steif zugehen würde und ich von der Seite aus zugucken müsste. Dem war nicht so, es herrschte echt türkische Herzlichkeit, ich kriegte gleich einen Bogen in die Hand gedrückt und dann hieß es mitschießen!
Das Training verlief sehr informell und locker, der Ton innerhalb der Gruppe (ungefähr 10-12 Leute, Zahl variiert von Treffen zu Treffen) war gelöst, die Leutchen kennen sich schon eine Weile und so wurde viel freundschaftlich "gefrotzelt". Murat Özveri ist ohne Zweifel der Chef und wird von den anderen mit "Hoja" (=Lehrer, Meister, etwa wie japanisch "Sensei") angeredet, aber sonst war wenig von irgendwelchen Hierarchien zu spüren. Mehr wie eine Gruppe Freunde, die sich halt zum Bogenschießen treffen. Das Alter war so ungefähr zwischen 25 und 40, plus der elfjährige Sohn eines der Schützen, der schon wacker mit einem 25#-Bogen mithalten konnte. Geschoßen wurde mit verschiedenen Bögen, "türkische" von Grózer und einem Hersteller in der Türkei, daneben habe ich auch längere Reiterbögen "mongolischer" oder "ungarischer" Art gesehen.
Die Gruppe hat einen Übungsraum im Keller des Stadions, wo ungefähr 20 Meter weit geschossen werden kann. Ich wurde mit viel Geduld (und Gelächter) in die Daumentechnik eingewiesen, die Sache machte auch sehr schnell für mich Sinn - man muss es nur mal richtig gezeigt kriegen!! Das einzig Dumme war, dass ich natürlich einen Daumenring leihen musste, der nicht richtig passte und meinen Daumen ziemlich malträtiert hat. Eigentlich hätte ich mal ein "vorher-nachher"-Foto vom Daumen machen müssen. Nach drei Stunden war er ziemlich bläulich... Dazu noch die neue Technik im Kopf behalten, sich unterhalten in Türkisch, Deutsch und Englisch fast gleichzeitig, Istanbuler Sommerhitze - ich war ziemlich fertig hinterher. Quasi Extrem-BOgenschießen... Hier ein Foto, der schwitzende blonde Ausländer mit dem Bogen "im Anschlag" ist meine Wenigkeit (der noch sehr viel üben muss...)
Geschossen wurde zuerst auf verschiedene Distanzen je nach Ausbildungsstand, dann wurden Schießen auf Wurfscheiben und "Schnellschießen" mit Reservepfeilen in der Zughand geübt. Bei letzterem hab ich dann wieder Mikado gespielt
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Das wäre so mein subjektiver Eindruck von dieser einen Gruppe. Es gibt noch mehr, man sagte mir bei Tirendaz, dass das traditionelle Bogenschießen in der Türkei "schwer im Kommen" sei. Murat Özveri hofft, dass das Bogenschießen, zusammen mit "jirit" (Speerwerfen zu Pferd) und Schwertkampf einmal in der Türkei einen ähnlichen Stellenwert einnehmen werden wie die verschiedenen Bushido-Disziplinen in Japan. Das wage ich persönlich zu bezweifeln, ich denke, der Bruch mit der "alten Ordnung" war in der Türkei deutlich radikaler als in Japan.
Soweit so gut, das wäre mein Bericht zu meiner Einführung in die Geheimnisse des Daumenrings
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Viele Grüße,
Yayci