Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Hier kommt alles rein, was in irgendeiner Form mit der Herstellung von Messern zu tun hat.
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captainplanet
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Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von captainplanet » 04.03.2014, 10:35

Seit längerem überlege ich mir, wie man Klingen über einen längeren Zeitraum bei vernünftigen Temperaturen anlassen kann ohne spezielles Equiptment. Die oft empfohlene Backrohrvariante braucht viel Strom und erreicht nur Temperaturen im unteren Anlassbereich. Am offenen Feuer unter Beachtung der Anlassfarben braucht es sehr viel Erfahrung.

Meine Idee: Die Klinge in einem Tauchbad mit genau definiertem Siedepunkt zu erhitzen. Sterain etwa hat einen Siedepunkt von 370°C. Wenn man also ein paar alte Grablichter aus einer geplünderten Friedhofsmülltonne in einem alten Kochtopf am Lagerfeuer erhitzt und darin die Klingen "auskocht", hat man eine exakte Anlasstemperatur. Denn - wir erinnern uns an den Physikunterricht- Siedepunkte können im flüssigen Zustand nicht überschritten werden solange der Druck konstant bleibt. Anders wäre es, wenn man die Klinge in flüssigem Blei (Schmelzpunkt 327°C) anlassen würde, denn man kann das Blei noch wesentlich höher erhitzen.

Leider weiß ich nicht, welche leicht beschaffbaren Substanzen Siedepunkte im Bereich von 200-300°C aufweisen. Speiseöle fangen an fürchterlich zu stinken bevor sie sich entzünden und Dieselöl ist ein Gemisch aus unterschiedlichen Ölen mit einem Siedebereich ab 170°C. Hat jemand diesbezüglich eine gute Idee?

Lg Georg
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Wilfrid (✝)
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von Wilfrid (✝) » 04.03.2014, 10:56

Wenn Du Öle oder Wachse zum Sieden bringst, hast Du auch die Dämpfe. Und die brennen und sind schwerer als Luft. Erfolg des tuns: Dein Kessel brennt, und das recht heftig.

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Rizzar
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von Rizzar » 04.03.2014, 11:05

Wieso nimmst du nicht einfach eine in der Temperatur regelbare Fritteuse????

Machen sehr viele so und sind in der Regel gebraucht günstig zu bekommen.

Sicher, auch da hat man Stromverbrauch, aber ich finde der Aufwand hält sich enorm in Grenzen, verglichen mit der Beschafffung von nach Siedetemperatur abhängigen Sondermitteln.

Gruß Martin

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Bognhansl
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von Bognhansl » 04.03.2014, 11:35

Vor Allem: Wofür brauchst Du 370° Anlasstemperatur? Die üblichen niedriglegierten Stähle verlieren ihre Härte bei den Temperaturen fast komplett, bzw sind auf 52HRC herunten. Hast Du was spezielles damit vor?

Gruß
Hansl

ullrson
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von ullrson » 04.03.2014, 12:22

captainplanet hat geschrieben:Seit längerem überlege ich mir, wie man Klingen über einen längeren Zeitraum bei vernünftigen Temperaturen anlassen kann ohne spezielles Equiptment. ...
Meine Idee: Die Klinge in einem Tauchbad mit genau definiertem Siedepunkt zu erhitzen. Sterain etwa hat einen Siedepunkt von 370°C.
...
Anders wäre es, wenn man die Klinge in flüssigem Blei (Schmelzpunkt 327°C) anlassen würde, denn man kann das Blei noch wesentlich höher erhitzen.
...
Lg Georg


Alle Öle, Paraffin und Stearin zersetzen sich ab ca. 200°C und bilden brennbare crack-Produkte. Organische Verbindungen die 300°C längere Zeit an Luft aushalten sind mir nur perfluorierte Öle bekannt. Sollten die überhitzt werden, bildet sich giftige Flußsäure.

Nachtrag: Silikonöle könnten die genannte Temperatur auch (gerade) noch aushalten.
Nachtrag 2: Die Dämpfe aller genannten Stoffe sind Lungenschädigend und sollten nicht eingeatmet werden.

Blei ist auch schlecht: du wirst eine Legierungsbildung an der Oberfläche nicht vermeiden können.

Wie wäre es mit Isolieren: Messerklinge auf Wunschtemperatur bringen (überwachen mit IR-Thermometer) und dann in Holzasche stecken. So ein Aschebad oder auch Sandbad kann man ggf. noch mit elektrischen Glühstäben und Thermoelementen steuern.

Grüße ullrson

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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von shokunin » 04.03.2014, 13:02

Es gibt Zinnlegierungen die zwischen 170 und vielleicht 250 Grad schmelzen. Ich hab' eine bleifreie die ich für Presswekzeuge hernehme. In der hab' ich schon angelassen. Man muss da aber auch die Temperatur im Auge behalten - ein Matall-Bad kann natürlich zu heiss werden.

Das ist ein Problem bei allen improvisierten Bädern, besoders weil ja die meisten Stähle für Stunden auf der Temperatur gehalten werden wollen. Das ist bei Bädern schwierig, es sei denn man hat eine Temperaturreglung wie z.B. bei der Friteuse.

Prinzipiell geht das aber schon - ich erinnere mich dumpf, dass die Uhrmacher bei uns im Viertel wo ich meine erste Werkstatt hatte, z.B. mit geschmolzenen Salzen (Salpeter) Federn angelassen haben...

Gruss,
Mark
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von Buddelfrosch » 04.03.2014, 13:08

Ich mach das auch mit einer Fritteuse. http://www.ebay.de/itm/Edelstahl-Fritteuse-Friteuse-Frittose-Fritose-3-5-Liter-2000W-220-240V-/121158826084?pt=DE_Haus_Garten_Heimwerker_Dampfreiniger&hash=item1c35a0f864

Mehr als 30-40 Euro muss man dafür nicht ausgeben. Dazu dann noch Härtöl, dass man auch zum Anlassen nutzen kann:
http://www.angele-shop.com/catalog/product_info.php?pName=h%E4rte%F6l-5-liter-kanister&cName=hilfsmittel-haerten
Fertig der Lack. Mehr als die 200 Grad Anlasstemperatur hab ich für meine Messer bisher nie benötigt.

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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von ullrson » 04.03.2014, 13:18

shokunin hat geschrieben:Prinzipiell geht das aber schon - ich erinnere mich dumpf, dass die Uhrmacher bei uns im Viertel wo ich meine erste Werkstatt hatte, z.B. mit geschmolzenen Salzen (Salpeter) Federn angelassen haben...

Gruss,
Mark


Kann es sein, dass die Uhrmacher gleichzeitig nitrier-gehärtet haben?

Grüße ullrson

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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von shokunin » 04.03.2014, 13:41

Ne, eher nicht, denke ich.
Ich hab's gerade nachgeschaut, Natrium-Salpeter schmilzt bei 308C.
Das ist ziemlich exakt die Temperatur zum Anlassen von Federn.

Gruss,
Mark
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von eddytwobows » 04.03.2014, 14:03

@Captain...

ullrson hat geschrieben:.../...
Wie wäre es mit Isolieren: Messerklinge auf Wunschtemperatur bringen (überwachen mit IR-Thermometer) und dann in Holzasche stecken. So ein Aschebad oder auch Sandbad kann man ggf. noch mit elektrischen Glühstäben und Thermoelementen steuern.

Grüße ullrson


Das wäre auch mein erster Gedanke gewesen, wenn Du Dich nicht unbedingt mit einer Anlasstechnik
im Ofen oder der Schmiedeesse auseinandersetzen willst / kannst / möchtest...

Blechkasten mit Sand auffüllen und auf / in der Esse auf Temperatur bringen,
Klinge rein und die Temperatur dann mittels Kontrolle durch ein IR-Thermometer halten...

IR-Therm. sind auch rel. günstig zu kriegen, geht wohl ab 18,€ nochwas los und wäre für den benötigten
Temperaturbereich auch völlig ausreichend... :)

https://www.google.de/#q=Infrarot-Thermometer&tbm=shop

LG
etb
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von captainplanet » 04.03.2014, 14:06

Ich versuche eben, mit möglichst wenig zusätzlicher Ausrüstung auszukommen. Ich hab schon genug Sachen daheim die viel Platz brauchen und die ich aber nur selten verwende. Da werde ich mir keine Fritteuse hinstellen wenn ich maximal eine Klinge im Jahr härte und genau weiß, daß ich das Ding sonst nie verwende. Aber wenn ich keine Flüssigkeit mit passendem Siedepunkt finde, dann werde ich wohl zumindest die Anschaffung eines IR-Thermometers überdenken.
Zinn scheidet wegen der bereits erwähnten Gefahr der Legierungsbildung wohl ebenfalls aus.

Bei dem Wachsbad möchte ich aber trotzdem bleiben, weil es imho eine gute Möglichkeit ist die Temperatur zu halten. Wachs hat eine sehr hohe Wärmekapazität; man müßte nur in gewissen Zeitabständen die Temperatur messen und regulieren. Außerdem verteilt sich die Hitze in einem Fluid gleichmäßig. In einem Sandbad könnte es sein daß die Innentemperatur viel höher ist als an der Oberfläche, wo ich messe.
Ein paar ungesunde Dämpfe kann man, wenn man in Freien arbeitet, wohl tolerieren. Man hat ja nicht ständig die Nase über dem Topf. Außerdem kann man einen Deckel drauftun. Wenn man nicht im Siedebereich arbeitet, kann es ja nicht übergehen.
Wenn ich mit dem Fahrrad eine Minute hinter einem Diesel-LKW fahre, atme ich sicher zehnmal mehr Dreck ein. ::)

Lg Georg
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von eddytwobows » 04.03.2014, 14:17

Wenn Du das mit Wachs und über offenem Feuer machst, nimm dann aber bitte einen sehr hohen Topf,
der max. nur zur Hälfte gefüllt ist und stell Dir einen Pulverlöscher oder
Sandeimer (um alles in der Welt keinen Wassereimer !!!) als Löschmittel parat...

Siehe dazu auch Wilfrids Ausführungen bezgl. Gasbildung und Brennbarkeit... :)

LG
etb
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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von Wilfrid (✝) » 04.03.2014, 14:27

Wenn Dir mal der Ölpot gebrannt hat beim härten, denkst Du über brennbare Flüssigkeiten anders.
Wenn der kram anfängt zu brennen , gibts meist ne Verpuffung, nicht von schlechten Eltern. Und drumerum wirds ziemlich warm.
Ich kann von solchen Versuchen wie Wachs auf offenem Feuer kochen usw nur dringend abraten.
Wer einmal nen brennenenden Bitumenkessel erlebt hat, der hat da keine Lust mehr drauf...

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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von Buddelfrosch » 04.03.2014, 14:42

captainplanet hat geschrieben:Da werde ich mir keine Fritteuse hinstellen wenn ich maximal eine Klinge im Jahr härte und genau weiß, daß ich das Ding sonst nie verwende.


Bei dem Szenario würde ich die Klinge einfach zu Schanz, Wolf Borger oder Steigerwald zum härten schicken. :P Das kostet mit Porto um die 20 Euro und die Qualität ist top.

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Re: Punktgenaues Anlassen ohne Ofen

Beitrag von captainplanet » 04.03.2014, 14:51

Ich hab mal Palatschinken flambiert, das hättet ihr sehen sollen! Ich habe zwar ein paar Haare eingebüßt, aber gut waren sie trotzdem. ;D

Gibt es beim Kauf eines IR-Thermometers etwas zu beachten bzw. kann jemand ein gutes Modell empfehlen?

Lg Georg
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