Hist. Ungarischer Köcher Nachbau

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shewolf
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Hist. Ungarischer Köcher Nachbau

Beitrag von shewolf » 04.03.2006, 19:15

Heute ist hat er endlich seinen Deckel bekommen: der Nachbau des ungarischen Köchers der Landnahmezeit, an dem ich nun schon seit September 2005 gewerkelt habe.

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Es gibt keine Grabfunde von ungarischen Köchern, nur Eisenstreben tauchten in den Gräbern auf, die den Rahmen der Köcher bildeten.

Einige neuzeitliche Nachbauten sind aus Birkenrinde, die im Osten in voller Stärke abgeschält & getrocknet wird. Was mich daran stört ist die "Winzigkeit", mehr als sieben Pfeile passen da nicht rein.

Darum wollte ich einen Köcher aus Leder bauen, stieß allerdings bei jedem Schritt auf "Tüftelaufgaben", denn es galt die Form völlig neu zu konzipieren.

Meine Ellbogenentzündung half dem Projekt auch nicht gerade auf die Sprünge, aber zwischen einigen Fruststrecken entstand dann schließlich doch ein Köcher zur Aufnahme von Kriegspfeilen, mit Klappe zum Schutz gegen Regen, aus wasserdichtem (!) Leder.

Am Anfang stand die Überlegung, die Pfeile - nach zeitgenössischen Darstellungen - mit den Federn nach unten im Köcher aufzubewahren.

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Federschonend werden sie Schäfte dazu in ein Seidentuch gelegt, und so in den Köcher geschoben.

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Der Deckel stabilisiert den Köcher oben, ein Versuch mit Holz & Horn schlug völlig fehl. Nun ist das Oberteil aus Leder, das ich naß gebacken habe, wobei es sich zufällig genau so verzog wie es nun ist...

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Das Leder ist mit heißem Wachs unter Einsatz eines Haarföns behandelt worden, und ist nun wasserfest & standfest. Auch der Boden ist wachsgetränkt, sowie innen mit Holz verstärkt und mit Schaffell gepolstert (soll ja nix klappern auf dem Kriegszug :D )

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Die Wachsbehandlung hat auch die dunkle Farbe verursacht, einzig die "Aufhängung" der Verschlußklappe ist aus hellem, unbehandeltem Leder. Ich muß noch mal mit dem Fön alle Flecken nacharbeiten, bis das Leder überall völlig gesättigt ist.

Zusätzlich hat das Wachs das Leder sehr formstabil gemacht, obwohl die form sehr hoch & schmal ist steht der Köcher gut.

Hier noch mal in hängender Position geschlossen. Die Schraubnieten müssen noch ersetzt werden, aber mir fällt noch keine schöne Lösung ein, einfach nähen wollte ich die Seitenteile auch nicht.

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Tja, insgesamt wird das zweite Modell leichter zu bauen sein :) wenn ich mir das je antue 8-)

Es passen locker 15-20 Pfeile mit Kriegsspitzen rein (oder, im Fall unserer Vorführung, einige mit Gummiblunts). Auch die Federn sind unten gut geschützt. Mal sehen, wie sich der Köcher auf dem Pferd macht. Optional kann ich ihn auch senkrecht hängen, auf der Rückseite habe ich eine Öse von der ersten (als untauglich beurteilten) Befestigung gelassen...

Erster Einsatz soll in Vechta beim Rattenturnier sein, wahrscheinlich kann ich dann genaue Ausssagen zur Wasserfestigkeit machen...
;-) ;-)
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Niels

Beitrag von Niels » 04.03.2006, 19:45

Die "Tüftelaufgaben" hast Du doch ganz prima gelöst.

Ich weiß ja, wie schwierig die theoretische Ausgangssituation durch die historisch belegten Vorgaben war. Da erschien ja einiges wenig praktisch bzw. schwer umsetzbar. Schon der Übergang von der ovalen Form im unteren Bereich zur eckigen im oberen war sicher eine Aufgabe für sich, oder? Von der Konstruktion des Deckels mal ganz zu schweigen. Ich finde Deine Lösung ist gut gelungen.

Aus welchem Grund schlug denn der Versuch mit Horn und Holz fehl? Was spricht gegen ein einfaches Annähen anstelle der zu ersetzenden Schraubnieten?

Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf Deine Testberichte und freue mich darauf, dass Teil mal live zu sehen.

Schön, dass der Ellenbogen wieder soweit hergestellt, dass Du wieder am Leder werkeln kannst.

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michael leva
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Schöne Arbeit, Andrea!

Beitrag von michael leva » 05.03.2006, 08:10

:anbet
Gut gelungen ist dein Köcher, Hut ab! Bin auch gespannt auf die Praxistauglichkeit - vor allem was das häufige Entnehmen und Wiedereinstecken der Pfeile mit den Federn nach unten angeht.. das erscheint mir doch gewöhnungsbedürftig und hört sich zumindest verflixt fummelig an..

Wieso ist dein Leder eigentlich nicht noch dunkler geworden beim Wachsen? Wahrscheinlich hast du das Wachs Stück für Stück aufgebracht, oder? Nicht den ganzen Köcher in heisses Wachs eingelegt (das hatte ich kürzlich gemacht und einen recht hübschen, fast schwarzen, dafür aber knochenharten Effekt erzielt)?!
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Klasse!

Beitrag von Ravenheart » 05.03.2006, 17:42

Diese rustikale Schlichtheit gefällt mit außerordentlich gut! Ich würde die leichte "Fleckigkeit" glatt so lassen, gibt ne schöne "alte" Note!

Was ist dieser helle Streifen am "Gelenk" des Deckels?

Wie hast Du die geraden, scharfen Kanten an der Seite mit der Trageschlaufe hinbekommen?

Und wie den Übergang zu Rundung weiter unten gemacht?

Ich staune vor so viel trickreicher Kunstfertigkeit!


Rabe

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shewolf
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Beitrag von shewolf » 05.03.2006, 19:04

Also in heißes Wachs konnte ich ihn nicht legen - mein Bastel-Topf ist zu klein! Und den Wok zu nehmen habe ich mich nicht getraut... 8-)

Kanten: ich habe das Leder feucht geformt, habe es um ein Brett mit einer Mullbinde gewickelt, bis die Kanten ausgeprägt waren. Dabei die Rundung mit einem ovalen Holz unten stabilisiert - jetzt mit dem Wachs ist alles bretthart und doch lederleicht!

Und das helle Leder ist der "Scharnierstreifen", an dem der Regendeckel hängt & schwingt...

Michael: den Wachstip habe ich aus Deiner Bauanleitung, leider konnte ich nur bis Seite 4 lesen... hat aber gereicht :) :)
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Beitrag von michael leva » 05.03.2006, 19:42

:)
den Wachstipp hast du von mir?!.. ich lach mich weg..
Schön geworden! Kann ravenheart auch nur recht geben, würde die leichten Flecken beibehalten, das gute Stück sieht aus, als ob er schon ein paar heiße Ritte hinter sich und das passt auch ganz gut so, ist ja nicht aus der Massenfertigung.

Bin gespannt auf Deine Praxiserfahrungen damit.
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Der Steppenreiter

Beitrag von Der Steppenreiter » 09.03.2006, 10:48

Tolles Teil! Leider bin ich kein Bastler, sodaß ich auch keine Tipps geben kann. Was mich interessiert - was wiegt das Teil mit Pfeilen gefüllt eigendlich? Trägt man es am Gürtel, braucht es dazu dann noch einen Hosenträger, ähnlich einer Koppel?

benz

Beitrag von benz » 09.03.2006, 11:22

Ich bin sehr auf die Praxistauglichkeit dieses Köchers gespannt. Alle Köcher die ich bisher gebaut hab, die die Pfeile in voller Länge aufgenommen haben, waren mir in der Praxis zu unhandlich. Klar man kann sich wegen der Authensität quälen, aber das ist nicht mein Ding.

liebe Grüße benzi

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york
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... ohne worte

Beitrag von york » 09.03.2006, 12:01

mir fehlen die worte, einfach wieder ein tolles teil

ich würd' die flecken auch lassen.
>>>>=========================================================>
Man sollte sich lieber durch Schweigen zum Idioten machen, als durch einige Worte alle Zweifel auszuräumen.

nordwandclimber
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RE:

Beitrag von nordwandclimber » 09.03.2006, 12:21

Original geschrieben von benz

Ich bin sehr auf die Praxistauglichkeit dieses Köchers gespannt. Alle Köcher die ich bisher gebaut hab, die die Pfeile in voller Länge aufgenommen haben, waren mir in der Praxis zu unhandlich. Klar man kann sich wegen der Authensität quälen, aber das ist nicht mein Ding.

liebe Grüße benzi


Sei froh das Du nicht mit meinen Pfeilen schießt, sonst würden Deine Köcher am Boden schleifen :D

@ Shewolf, ein tolles Teil. Das inspiriert doch wieder etwas mit Leder zu machen ...
Ein richtig toller Schlechtwetterköcher .

NWC

Polvarinho
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Beitrag von Polvarinho » 09.03.2006, 13:12

:anbet

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LaCroix
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Beitrag von LaCroix » 16.03.2006, 17:00

Kleine Fragesammlung:

Wie dick ist das leder?
Wieviel Leder hast du benötigt?
Wie schwer ist er?

Was mich irritiert ist das "Dach" des Köchers. Stört das nicht beim Pfeilrausziehen? oder ist das so schmal, das es geht? Ich hätte vermutet, das nur die Kläppe den Köcher oben verschließt, und er sonst offen ist.


Ps:
Schööööönes Teil! :D
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shewolf
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RE:

Beitrag von shewolf » 17.03.2006, 15:55

Original geschrieben von LaCroix

Wie dick ist das leder?
Wieviel Leder hast du benötigt?
Wie schwer ist er?

Was mich irritiert ist das "Dach" des Köchers. Stört das nicht beim Pfeilrausziehen?


Das Leder ist 2,5 mm dick und dank Wachseinlassung steif wie ein Brett.

Steppi: Der Köcher wiegt 760 Gramm.

Ledergröße: na ja, Länge x Breite! Ich habe den Köcher individuell meinen Pfeilen angepaßt, also vorher einen Prototyp aus Pappe entworfen.

Man könnte den Köcher auch schmaler arbeiten, aber ich hasse Kruschelfedern, und außerdem steht er so gut auf dem breiten Fuß.

Das Dach stabilisiert den oberen Teil, so daß man die Klappe mit einer Hand "zuwerfen" kann. Ohne die Stabilität würde die Klappe wieder auffallen - schlecht bei Regen. Bei einer Konstruktion ohne Dach empfehle ich dickeres Leder oben.

Zwar war ich mir ihm noch nicht schwimmen, aber erste Versuche mit der Handbrause lassen mich vermuten: der Köcher ist Regenwasserdicht.

Was mir jetzt noch so einfällt: ein Riemchen brauche ich noch, das die Klappe - wenn offen - unten festhält. Damit sie beim galoppieren bei der historischen Darstellung nicht klappert...


Übrigens sind die dazugehörige Gürteltasche & Messerscheide auch fertig:

Bild

Die Tasche ist ein Nachbau von Grabfund Karos 29, dessen silberne Deckplatte keinen überlaufenden Riemen zuließ. solche Taschen wurden unter dem Deckel mit einer Lasche & Riemen geschlossen:

Bild

Schaut mal die unterschiedlichen Lederfarben von Messerscheide und Tasche: beide Stücke sind aus einer Gerbung, haben die gleiche Stärke, stammen aber von zwei unterschiedlichen Rindern!! Beide mit dem gleichen Wachs getränkt, und doch völlig verschiedene Farbtöne. Faszinierendes Zeug, Leder.


Ach ja, und im Hintergrund noch die Mütze, die ist ein Geschenk von einem ungarischen Freund, die ich auf anraten von Niels mit Wollfilz (von meinem Kaftan) bestickt habe.
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Niels

Beitrag von Niels » 17.03.2006, 16:17

Sag mal Shewolf hast Du da irgendwo eine Heinzelmännchenbrigade im Einsatz? Kaum telefoniert man mit Dir zu irgendwelchen geplanten Ausrüstungsgegenständen, schon kann man sie einen Tag später hier bewundern. :anbet :D

Die Sachen sind wieder einmal sehr schön geworden.

Zur Tarsoly aus Karos Grab-Nr. 29 muss man vielleicht noch klarstellend sagen, dass die Silberdeckplatte, welche die Bauweise bedingt, natürlich noch fehlt. Sonst wird sich der eine oder andere Betrachter vielleicht fragen, wo die denn steckt.

Naja Rom an einem Tag auzubauen, schafft eben selbst Shewolf nicht. Aber viel fehlt dazu offensichtlich nicht mehr ... :D

LaCroix
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Beitrag von LaCroix » 20.03.2006, 10:07

Schnell, schneller, chello, Shewolf... :D

Sagmal, hast du eigentlich ein Metalgerüst im Köcher oder ist das nur mit Wachs geformt. Die Kanten sehen so "scharf" aus, als ob sie über ein Gerüst gespannt wären, aber bei der Innenansicht seh ich nix davon.

Ist das eigentlich eine Ziernaht an der "Taille" oder ist ist der Köcher aus 2 größen Teilen und auf stoß genäht?

Oder verbirgt sich gar unter der Naht auf der Innenseite das "Viereckformende" gerüst? Das wäre ja trickreich :D
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